Auf dem Weg zur echten Datenautobahn
Wer wissen will, wie der strukturelle Zustand einer Straße ist, muss heute einige Bohrkerne aus der Straßenbefestigung entnehmen, das Material analysieren und daraus den Gesamtzustand ableiten. „Oft sind dafür Straßensperrungen nötig, zudem verursacht das Verfahren eine künftige Schwachstelle des Straßenkörpers“, erklärt Ivan Isailović, Gruppenleiter für den Straßenbau International beim STRABAG-Kompetenzzentrum TPA in Köln. Er ist an einem Projekt beteiligt, in dem die TPA mit der BASt und der Direktion Data Science der STRABAG Innovation & Digitalisation (SID) daran forscht, künftig die nötigen Messungen direkt in der Straße vorzunehmen.
Im Forschungsprojekt „Entspannter Hybrid“ hat die TPA 40 Sensoren in eine Hybrid-Straßenbefestigung verbaut. Diese Bauweise entspricht einer Betondecke und darauf aufgebauten Asphaltschichten. „Entspannt“ deshalb, weil die Betondecke zunächst in Plattenteile aufgebrochen wird, um sogenannte Zwängungsspannungen aufzuheben.
Die im Projekt von den Sensoren gemessenen Parameter wie Beschleunigung und Temperatur sollen helfen, die Frage zu beantworten, wie sich das ganze System inklusive der entspannten Betondecke verhält. Die Dimensionierungder Hybrid-Bauweise beruhte bisher im Wesentlichen auf Annahmen – Fachleute vermuten stark, dass die Stärke der Hybrid-Straßenbefestigung derzeit überdimensioniert wird, was unnötig Kosten erzeugt.
Die Messwerte der verbauten Sensoren haben gezeigt, dass der „Entspannte Hybrid“ deutlich mehr tragen kann als ursprünglich gedacht. Aus den Sensordaten werden Materialparameter mittels Machine Learning automatisiert errechnet. Das Potenzial einer solchen Anwendung reicht weit über die Planung der richtigen Stärke der Hybrid-Bauweise hinaus: Ein Monitoring des Materialzustands und der Belastungen ließe bei einer Straße auch Hinweise auf Schäden zu, bevor diese als Schlagloch sichtbar würden.

Riesige Datenmengen
Die 40 Sensoren haben seit 2019 riesige Datenmengen erzeugt. „Diese effizient zu verarbeiten, fiel uns anfangs schwer“, sagt Isailović. Sensoren generieren auch Fehler, die Verarbeitung verlangt nach besonderem Know-how. Das fand die TPA bei der Firma Clarify Data – das Start-up übernahm die Datenanalyse, begleitet von den Fachleutender SID-Direktion Data Science, im Wiener Team von Gerhard Höfinger, Function Lead Data and Decision Analytics. „Clarify Data ist ein sehr kompetenter Partner, unsere Rolle war also nicht, deren Ergebnisse zu kontrollieren, sondern sie im Detail nachzuvollziehen und zu verstehen, damit wir diese Lösung verlässlich auch für andere Projekte anwenden können“, erklärt der Datenspezialist.
Auf beiden Seiten ist in diesem Projekt Pionierarbeit geleistet worden. Die Expertinnen und Experten kamen bei der Auswertung der Sensordaten zu vergleichbaren Ergebnissen wie die konventionellen Methoden. Aus den Erfahrungen lassen sich nun Empfehlungen für die künftig zu verwendenden Sensoren und deren Platzierung ableiten.
Das nächste Projekt ist bereits in der Planung: Es geht nun auf die echte Straße. „Gerade für unsere Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) wären Sensordaten ein sehr spannendes Angebot. Wir verpflichten uns dabei, die Fahrbahn meist für 30 Jahre instand zu halten. Aus den Sensordaten könnten wir rechtzeitig Maßnahmen ableiten und größere Schäden vermeiden“, sagt Isailović – und denkt auch schon weiter: „Vielleicht steht da, wo bisher noch ein Autobahn-Telefon installiert ist, bald ein physischer Daten-Hub, über den sich nach außen und auch direkt in die Straße kommunizieren lässt.“
Gerhard Höfingers Fazit lautet:
„Wir können Projekte im Rahmen der Digitalstrategie nur gemeinsam mit den operativen Einheiten umsetzen. Es war sehr interessant, mit einem Start-up zu arbeiten: zu sehen, welche Tools und Software sie verwenden.“ Höfinger sieht das Projekt auch als Bestätigung, dass STRABAG im Bereich Data Science auf einem guten Weg ist. Die Zusammenarbeit mit der TPA werde weiter ausgebaut: „Wir suchen jetzt nach geeigneten Datenbanken für Bitumenuntersuchungen.“