Aus der Vogelperspektive
Das Sirren wird langsam lauter. Die weiße Drohne erhebt sich vom Boden und steigt zügig in den Stuttgarter Morgenhimmel auf. ZÜBLIN-Mitarbeiter Marcel Nagel hat die Hand an seinen Schutzhelm gelegt, um sich gegen die tief stehende Sommersonne zu schützen, und blickt dem Fluggerät nach. Die Drohne wird von seinem Kollegen Markus Bünger gesteuert, dessen Finger gelassen eine Fernsteuerung bedienen. Flug Nr. 30 hat begonnen.

Gut einmal im Monat wiederholt sich die Szene hier im Nord-Osten Stuttgarts. Die Drohne überfliegt die Baustelle „Leuze, Los 2“, die mit 20 GPS-Punkten markiert ist – sichtbar als rote Farbkreuze am Boden. Dabei schießt sie rund 750 hochauflösende Luftbilder, aus denen ein sogenanntes Orthofoto entsteht: eine verzerrungsfreie, maßstabsgetreue und fotorealistische Abbildung der gesamten Baustelle mit ihren Details. Auf dem Computer werden diese Aufnahmen mit den zweidimensionalen Bauplänen des Projekts überlagert. „So erhalten wir einen umfassenden Überblick“, sagt Marcel Nagel, der wie Markus Bünger für die ZÜBLIN-Direktion Stuttgart im Bereich Technische Dienste tätig ist. Auf der Baustelle „Leuze, Los 2“ fungieren sie als Drohnenpiloten.
Alle beteiligten Gewerke wie Rohbau, Leitungs- und Straßenbau, die Stadt Stuttgart als Bauherrin oder die Integrierte Verkehrsleitzentrale Stuttgart können auf diese Weise den Baufortschritt begutachten – ohne die Fotos der Drohne wäre das in dieser Qualität nicht möglich.
Dichter Verkehr
Das ganzheitliche Bild quasi in Echtzeit hilft allen Beteiligten, die Lage richtig einzuschätzen. „Die Realität auf der Baustelle und die Theorie aus der Planung lassen sich anhand der Luftbilder präzise miteinander vergleichen“, sagt Marcel Nagel. „Das erleichtert die Kommunikation unter den verschiedenen Gewerken und Stakeholdern sowie die Ausführung der Arbeiten.“
Das ist immens wichtig bei einem solch komplexen Projekt. Nur ein paar Schritte vom Startplatz der Drohne entfernt rollt und rauscht nämlich der Verkehr. Täglich sind hier tausende Pkw und Lkw unterwegs, Straßenbahnen kreuzen, Fußgängerinnen und Fußgänger huschen vorüber, Fahrräder rauschen vorbei – Staus sind Normalität. Das Bauprojekt soll den Verkehr entzerren, bündeln und die Situation für lärmgeplagte Anwohnerinnen und Anwohner verbessern. Auf einer Länge von 1.300 Metern entsteht ein neuer Tunnel, der den Rosensteinpark und Teile des Zoologisch-Botanischen Gartens Wilhelma unterquert. Zeitgleich erhält der angrenzende, bereits existierende Tunnel Leuze eine dritte Röhre und einen ergänzenden Kurztunnel.
„Während der gesamten Bauzeit muss der Verkehr fließen“, erklärt Markus Bünger und behält dabei die Dohne im Blick, die automatisch ihrem programmierten Kurs folgt. Einzelne Fahrspuren können nur nachts oder an Wochenenden gesperrt werden. Außerdem erschwert ein weit verzweigtes unterirdisches Leitungssystem das Vorhaben. Auf der gut 1,5 km langen Baustelle mit ihren Dutzenden Arbeitskräften den Überblick nicht zu verlieren, ist gar nicht so leicht.
Blick aufs Ganze
Durch die Aufnahmen der Drohne werden zum Beispiel Bäume oder Gebäude, die den Aufbau eines Krans behindern könnten, unmittelbar sichtbar. Auch ein Schacht, der sich nicht exakt an der im Plan verorteten Stelle befindet, fällt sofort auf. Das Volumen sowie die Flächen- und Längenprofile einer Lärmschutzwand lassen sich einfach errechnen, ohne aufwendige Vermessungen vor Ort. Und wer aus der Vogelperspektive stets das Ganze im Blick hat, setzt anstehende Umleitungen oder Straßensperrungen klug und effizient um.
„In Zukunft werden wir die Vorteile der Drohnentechnik sicher noch auf mehr Baustellen nutzen“, sagt Marcel Nagel. Und sein Kollege Markus Bünger fügt noch einen weiteren Aspekt an: „Die Aufnahmen der Drohne sehen auch richtig cool aus. Wir erleben, dass es die Beschäftigten auf der Baustelle zusätzlich motiviert, wenn sie die Großbaustelle aus der Vogelperspektive wachsen und die Arbeiten vorankommen sehen.“
Neugierig? Dann klicken Sie hier, um wie Marcel Nagel und Markus Bünger die Baustelle aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Die Drohne
Die DJI Phantom 4 Pro ist ein handelsübliches Modell, ausgestattet mit einer 20-Megapixel-Kamera. Eingesetzt werden außerdem noch ein Tablet für die Steuerung, die Software Pix4D sowie ein sogenannter Rover, mit dem Kalibirierungspunkte mittels hochpräziser Satelliten-Daten aufgemessen werden.
Marcel Nagel,
Gregor Warneke