Die Moderatorin, Autorin und Expertin für nachhaltiges Wirtschaften, Tina Teucher, über Baustellentourismus, begrünte Dächer und die sechs K für nachhaltiges Wirtschaften.
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Tina Teucher
Tina Teucher
Moderatorin, Autorin und Expertin für nachhaltiges Wirtschaften

Wir treffen Tina Teucher im Impact Hub in München. Der Co-Working-Space für die Kreativszene befindet sich in einem ehemaligen Küchengroßlager, ganz in der Nähe der Großmarkthalle. Im Hub sitzen junge Menschen mit Laptops an Tischen verteilt oder angeregt diskutierend in verglasten Räumen. Tina Teucher geht schnellen Schrittes durch die Etage auf der Suche nach dem von ihr für unser Gespräch gebuchten Raum. Schon auf dem Weg sagt sie, es tue sich bei dem Thema Nachhaltigkeit gerade richtig viel und das sei doch ein gutes Zeichen. Genau darüber wollen wir mit ihr reden …

… also, was beobachten Sie denn, Frau Teucher?
Ich sehe zwei Trends: Zum einen ist das Thema Nachhaltigkeit so sehr wie nie zuvor in das Bewusstsein der breiten Masse gedrungen. Nicht zuletzt durch Bewegungen wie Fridays for Future ist es sprichwörtlich an den Küchentischen angekommen. Und zwar durch die Generation, die von den prognostizierten Folgen des Klimawandels direkt betroffen sein wird. Es sind die Jugendlichen, die fordern, dass wir etwas verändern. Für sie ist der Klimawandel kein abstraktes Problem in ferner Zeit, sie sorgen sich um ihre eigene Zukunft. Für sie geht es nicht darum, ein paar Bäume zu umarmen, es geht für sie ums Überleben.

Und der zweite Trend?

Die Coronakrise hat auch das Denken der Menschen verändert. Das Leben hat im wahrsten Sinne des Wortes für viele Monate stillgestanden, und jetzt können wir uns überlegen, was wir von der Zeit vor der Pandemie behalten und was wir verändern wollen.

Wie steht es mit der Nachhaltigkeit bei den Unternehmen?
Dort ist es auch so relevant wie nie, weil die Kunden es einfordern, die Politik es mit Gesetzen verlangt. Kein Unternehmen kommt heute und schon gar nicht morgen um eine Auseinandersetzung mit seiner Verantwortung herum.

Über die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens reden wir doch schon seit Jahrzehnten.
Ja, aber mittlerweile wird auch gehandelt. Und immer öfter, weil die Menschen intrinsisch überzeugt davon sind, dass es keinen anderen Weg gibt. Es findet eine Abkehr vom Shareholder-Value hin zum Stakeholder- Value statt.

Sie meinen Aussagen wie jene von Laurence Douglas Fink, CEO der weltweit größten Investmentgesellschaft Blackrock, der Unternehmen dazu aufrief, nachhaltiger zu wirtschaften?
Er sagte sogar, Blackrock werde künftig nur noch in sogenannte Purpose Driven Companies investieren, also in solche Firmen, die nicht nur zahlen- sondern auch sinnorientiert wirtschaften. Oder denken Sie an das wegweisende Urteil eines Gerichts in Den Haag gegen den Ölkonzern Shell, der mit Blick auf den Klimaschutz nun seine Geschäftspolitik ändern muss. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die meisten Unternehmen den Wandel noch freiwillig und aktiv gestalten können. Wer das verschläft, läuft Gefahr, künftig die ‚Licence to Operate‘ entzogen zu bekommen. Bis 2050 müssen die Unternehmen in der EU klimaneutral sein, der CO2-Preis wird steigen und damit auch der ökonomische Druck, nachhaltiger zu wirtschaften. Wer das nicht tut, geht heute enorme wirtschaftliche Risiken ein.

Trotzdem fahren auf den Straßen größtenteils Autos mit Verbrennungsmotor, sieht die Welt nicht viel anders aus als noch vor zehn Jahren.

Natürlich geht es nicht von heute auf morgen, aber aus heutiger Sicht kann man sehr optimistisch fragen: Wann, wenn nicht jetzt? Ich sehe überall eine wachsende Überzeugung, nachhaltig wirtschaften zu müssen.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist auch in unserem Gespräch bereits arg strapaziert, in der öffentlichen Debatte noch viel mehr. Was sollte man eigentlich darunter verstehen?
Für mich steht dahinter vor allem die Idee der Kreislaufwirtschaft – die Natur macht es vor. Aber Sie haben recht, wir müssen uns viel mehr damit auseinandersetzen, was nachhaltig überhaupt heißt, welche Möglichkeiten es gibt. Nehmen Sie das nachhaltige Bauen – das ist einer der wichtigsten Hebel für das Reduzieren von Klimagasen. Aber das Thema findet im Architekturstudium heute quasi nicht statt. Diese Wissenslücke ist ein großes Problem. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle Lösungen und Technologien längst haben, um nachhaltig und klimaneutral zu wirtschaften. Es kennen sie nur zu wenig Menschen.

Was sollten wir da tun?
Wir müssen uns viel mehr mit Materialien auseinandersetzen. Nicht nur Hightech, auch Holz, Lehm und Stroh sind nachhaltige Baustoffe, dazu ist in der Vergangenheit viel Wissen verloren gegangen. Es zu reanimieren, wäre keine Schande und zusammen mit der Digitalisierung und künstlicher Intelligenzhätten wir enorme Möglichkeiten.

Aber ist das nicht das Problem? Es gibt viele Möglichkeiten – nur sind die meist zu teuer, um über den Einsatz in Pilotprojekten hinauszukommen.
Das gilt nur so lange, wie wir nicht mit den wirklichen Kosten kalkulieren. Der CO2-Preis wird über kurz oder lang steigen, zusammen mit anderen Maßnahmen werden wir immer näher an die wahren Kosten kommen und dann sind nachhaltige Projekte nicht mehr teurer. Wir müssen aufhören, immer noch in Pilotprojekten zu denken. Nachhaltige Technologiensind keine Zukunftsmusik mehr, sie könnten längst Standard sein. Und damit das Realität wird, ist natürlich auch der öffentliche Gestaltungswille gefragt, in öffentlichen Ausschreibungen etwa darf nicht mehr nur der Preis ein Kriterium sein.

Sondern?
In den Niederlanden können neben dem Preis bis zu 50 % andere Kriterien in die Vergabeentscheidung einfließen, also nachhaltige und soziale Aspekte. Und natürlich sind auch marktführende Unternehmen wie STRABAG gefordert, den Auftraggebern Angebote zu machen, zu zeigen, was alles möglich ist. Innovationen für nachhaltige Technologien zu forcieren oder ihren Einfluss zu nutzen, um Lieferanten zu nachhaltigem Arbeiten zu motivieren.

Gibt es denn etwas, das Sie auf den Baustellen vermissen?
Ich unternehme mit meinen Patenkindern regelmäßig kleine Baustellentouren, die Kids können dem Geschehen dort stundenlang zugucken. Wir sehen aber nie einen Hybridbagger, und ich frage mich, warum? Das wäre ein simpler Schritt, um beachtliche 25 % Treibstoff zu sparen. Und wenn man weiß, dass 60 bis 80 % aller klimaschädlichen Emissionen im Verkehrswegebau auf Treibstoffe entfallen, frage ich mich wirklich, warum dieses Potenzial in der Bauwirtschaft niemand nutzt?

Vielleicht fehlen die Angebote?
Wenn das so ist, würde ich sagen, fordert eure Lieferanten! Marktmacht bedeutet auch Verantwortung. Unternehmen haben eine Stimme, sie können die Gesellschaft verantwortlich mitgestalten. STRABAG ist eine Gestalterin unserer Zukunft, der Lebenswelt vieler Millionen Menschen. Ist das nicht eine wunderbare Chance zu zeigen, was alles geht und möglich ist? Ist das nicht die Gelegenheit, jede Kundin, jeden Kunden und Lieferanten zu fragen: Wofür steht ihr? Im Hochbau beispielsweise zeigt ein Auftraggeber auch in der Art und Weise eines Gebäudes, wofür er steht. Das ist Branding, Image – und orientiert sich bestenfalls am Gemeinwohl.

Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Genau diese Frage sollte sich heute jedes Unternehmen stellen. In Bayern ist die Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft sogar in der Verfassung verankert. Wenn sich ein Baukonzern am Gemeinwohl orientieren möchte, dann fallen mir da viele Themen ein: Was kann man gegen die hohen Mietpreise tun? Wie lassen sich nachhaltige Praktiken wie Urban Farming oder die Gewinnung erneuerbarer Energie an Gebäuden unterstützen? Können wir dem Flächenfraß ein Ende setzen, in den Städten nicht nur bauen, sondern auch renaturieren und Gebäude auch als Ökosystem konzipieren? Zu diesen Herausforderungen können Baufirmen sicher Lösungen mitentwickeln.

Welche nachhaltigen Ideen für Gebäude faszinieren Sie?

Es sind oft die ganz einfachen Dinge, ein begrüntes Dach zum Beispiel. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Vorteilen: Gründächer sind länger haltbar, sie sorgen im Sommer für Kühlung, fangen sehr effektiv Feinstaub ein und binden Kohlendioxid. Wer entsiegelt, spart nebenbei noch Abwassergebühren.

Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft oder sind Sie optimistisch?
Natürlich muss man sich Sorgen machen angesichts der aktuellen Entwicklung. Niemand von uns kann sich heute vorstellen, unter welchen Bedingungen wir im Jahr 2050 leben werden. Es gibt ein Lied der Kinderband ‚Deine Freunde‘, es heißt ‚Ein ganz normaler Sommertag‘ und handelt von Weihnachten 2040: Heiligabend feiern alle am Strand, haben Sonnenbrand und schwitzen. Es ist eigentlich ganz witzig gemacht, aber das Problem ist, dass genau das Realität wird, wenn wir so weitermachen.

Ist der Klimawandel Ihrer Meinung nach noch aufzuhalten?
Er ist in vollem Gange. Wir können ihn noch abmildern und verhindern, dass wir bestimmte Kipppunkte überschreiten. Wissenschaftler haben 2015 beim Weltwirtschaftsforum in Davos ihren Bericht über die planetaren Belastungsgrenzen in neun Dimensionen vorgestellt. Stand heute sind die Grenzen in vier dieser neun Dimensionen bereits überschritten, der Klimawandel inklusive. Eine dramatische Entwicklung sehen wir zum Beispiel auch bei der biologischen Vielfalt: Wir verlieren jeden Tag Arten, die wir noch nicht einmal kennen, die uns vielleicht eines Tages eine neue Medizin, eine hilfreiche Innovation oder andere wichtige Dinge beschert hätten.

Was können wir noch tun?
Ich definiere eine nachhaltige Wirtschaft anhand von sechs K: Erstens das Kerngeschäft, das müssen alle Unternehmen hinterfragen, also ehrlich Stellung dazu nehmen, ob das Kerngeschäft überhaupt nachhaltig zu betreiben ist. Wenn nicht, wird es Zeit für eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells. Zweitens Klimaneutralität – hier gilt es, sich ambitionierte Ziele zu setzen – am besten wissenschaftsbasiert anhand der Science Based Targets, orientiert am Pariser Klimaabkommen. Drittens die Kreislaufwirtschaft – dahinter verbirgt sich das vielleicht effizienteste Mittel für nachhaltiges Wirtschaften. Wer keinen Abfall mehr produziert, sondern immer nur neue Stufen der Verwertung, schont automatisch Klima und Umwelt. Viertens KPIs – Nachhaltigkeit muss wie der wirtschaftliche Erfolg messbar und mit konkreten Zielen unterlegt sein. Fünftens die Kultur – wir müssen auch uns und unsere Art zu denken und zu arbeiten verändern, auch mal Verrücktes zulassen, die Dinge anders machen wollen als bisher. Sechstens Kooperationen – einer allein wird gegen die Naturzerstörung nichts ausrichten, wir müssen zusammenarbeiten, auch mit Wettbewerbern, Netzwerke bilden, uns mit der Wissenschaft verbinden, voneinander lernen, wir sitzen schließlich alle im selben Boot.

Das klingt sehr komplex.
Ja, daher hilft es, von Zukunft her eine Geschichte zu erzählen. Was wäre zum Beispiel, wenn es gelingt, bereits im Jahr 2030 klimaneutral zu bauen und STRABAG könnte behaupten, dass sie als Konzern daran maßgeblichen Anteil hatte. Dann würden doch die Augen der Mitarbeitenden, der Lieferanten und der Auftraggeber leuchten. So ein Ziel brächte ein wahnsinnig gutes Image, Stolz, Innovationen, Einsparungen und wäre ein effizientes Risikomanagement. Mit so einem Ziel für die Zukunft können Sie in der Gegenwart dann ganz konkret Maßnahmen ergreifen, um es zu erreichen.

Tina Teucher studierte Kulturwissenschaften, absolvierte den MBA Sustainability Management der Leuphana Universität Lüneburg. Sie ist aktiv im Think Tank 30, dem jungen Think Tank der Deutschen Gesellschaft Club of Rome; Mitglied des erweiterten Vorstands beim Bundesdeutschen Arbeitskreis Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e. V.), engagiert sich im Aufsichtsrat der Future eG, im Beirat der Klimahelden sowie in der Jury des Nachhaltigkeitslabels GreenBrands. Seit 2015 bringt sie als „Sustainable Matchmaker“ Organisationen, Menschen und Firmen zusammen, um gemeinsam die richtigen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen. Dabei begleitet sie Unternehmen und Institutionen bei den wesentlichen Fragen des Wandels. Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen knüpft sie Verbindungen zwischen Unternehmen, Universitäten und Start-ups – getreu dem Motto, es ist alles schon da, was wir brauchen, wir müssen es nur wissen und anwenden. Ihre Motivation für nachhaltige Themen führt Tina Teucher auf ihre Kindheit zurück: Sie wuchs in Dresden auf und verbrachte viel Zeit in den umliegenden Wäldern. Sie erinnert sich bis heute eindrücklich, wie sie in den 1990er-Jahren das Video zum Earth Song von Michael Jackson sah. Die brennenden Wälder darin schockierten sie. Damals sagte sie sich: Wenn du groß bist, dann tust du was dagegen.