Interview
Sie haben für Ihre Doktorarbeit zahlreiche Interviews mit CEOs, Projektleitungen, Controllerinnen und Kommunikationsprofis geführt. Was hat Sie dabei überrascht?
Viele der Befragten waren überzeugt, dass Change-Projekte meistens nicht das gewünschte Ergebnis erzielen. Bei der Frage aber, was man besser machen müsste, besteht in der Praxis eine gewisse Ohnmacht. Es ist schon paradox – wissenschaftlich ist das Thema extrem gut erforscht, aber in der Praxis kriegt man es selten umgesetzt.
Woran könnte das liegen?
Veränderungsprozesse wie etwa Effizienz- oder Umstrukturierungsprogramme werden oft zu starr gestaltet und emergente sowie systemtheoretische Aspekte zu wenig berücksichtigt. Außerdem werden sie oft viel zu schnell abgeschlossen.
Ein Jahr macht man dies, im nächsten schon wieder etwas anderes …
… und so gibt man den Leuten gar nicht genug Zeit, einen wirklichen Wandel ihrer Routinen, Arbeits- und Denkweisen zu etablieren.
Welche Rollen spielen die sogenannten Leerstellen, die Lücken?
Diese Lücken sind eine Art Puffer, Freiräume, die bewusst zugelassen und bereits in der Vorbereitung des Veränderungsprozesses eingebaut werden.
Also eine Art Spielraum, den man den handelnden Personen zugesteht?
Richtig, und zwar in ganz verschiedenen Bereichen. Solche Lücken räumt man zum Beispiel bei Entscheidungen ein, wie die Beteiligten den Veränderungsprozess kommunizieren, welchen Sinn sie dafür definieren oder welche Form der Führung praktiziert wird. Diese Themen kann man kaum von oben bis ins Detail vorgeben. Hier könnten stattdessen auch die Beteiligten ihren jeweiligen Weg in der vorgegebenen Richtung finden.
Haben Sie ein Beispiel?
Eine Firma legt zum Beispiel fest, dass Verwaltungskosten eingespart werden sollen. Top-down wird ein Maßnahmenpaket geschnürt und eine klassische, starre Umsetzung angeordnet. Die Mitarbeitenden können ihren eigenen Nutzen, und den hinter der Veränderung aber vielleicht gar nicht erkennen. Die definierten Sparmaßnahmen können sich aufgrund falscher Einschätzungen oder sich verändernden Umweltbedingungen auch für Einzelne als unvorteilhaft erweisen. Mit einer bewusst eingeräumten Führungslücke sind die Mitarbeitenden selbst in der Verantwortung.
Was meinen Sie damit?
Die Mitarbeitenden können selbst vorschlagen, welche Maßnahmen sie einleiten würden, um das gesteckte Ziel der Unternehmensführung zu erreichen. Dann fühlen sie sich partizipativ integriert und tragen die veränderten Rahmenbedingungen mit.
Also eher ein: Wir haben ein Ziel, aber wie wir dahingelangen, können wir in Teilen auch selbst entscheiden?
Die Erkenntnis meiner Dissertation ist da eindeutig: Partizipation ist ein Schlüsselfaktor. Veränderungen können erfolgsversprechender realisiert werden, wenn das Management von Leerstellen im Veränderungsprozess aktiv erfolgt, also die Mitarbeitenden ausdrücklich aufgefordert werden, ihren Freiraum zu nutzen. Nur Zahlen oder der Verweis auf den Unternehmenserfolg reichen den Menschen heute nicht mehr. Sie brauchen eine andere Sinnhaftigkeit, auch eine, die sie selbst für sich erkennen. Deshalb kam auch die Unternehmenskultur in den letzten Jahrzehnten verstärkt in den Fokus der Wissenschaft. Man hat erkannt, dass Sinnstiftung und die Unternehmenskultur eng beieinander liegen. Ein weiterer Vorteil der Leerstellen ist, dass wir die Leute noch mehr auf das übergeordnete Ziel einschwören. Sie müssen sich als Teil der Veränderung verstehen, nach dem Motto: cool, dass ich dabei bin.
Was, wenn man dadurch aber auch Widerstände erzeugt?
Auch Widerständen sollte man Raum geben, nicht einfach nur mit Maßnahmen reagieren. Viele Führungskräfte empfinden Widerstand als etwas Negatives. Vielmehr sollte jedoch das Ausbleiben von Widerstand als nachteilig angesehen werden.
Es gibt aber auch Veränderungsthemen, die per se eine hohe Zustimmung erfahren, etwa das nachhaltige Wirtschaften. Braucht es da auch Freiräume?
Unbedingt, wenn wir den Nachhaltigkeitsthemen in einer Lückenform Raum zur bewussten Integration und Interaktion lassen, ist die Chance grösser, dass sich die Mehrheit der Mitarbeitenden mit der Veränderung wirklich sinnstiftend verbunden fühlen und dann auch aktiv handeln.

Dominic Bannholzer arbeitet seit 19 Jahren bei STRABAG. Er stieß in seinem Masterstudium auf das Thema Change-Management. Es faszinierte ihn so sehr, dass er noch einen zweiten Master zu eben dieser Thematik ablegte und an der Middlesex University in London dazu promovierte. Die Dissertation wurde im Verlag Springer Gabler veröffentlicht. Die Transkriptionen seiner diskursiven, halbstrukturierten und leitfadengestützten Interviews füllen knapp 400 A4 Seiten.
„Wir haben ein Potenzial erkannt, Lücken in Veränderungsprozessen zu nutzen, sie also sinnvoll und sinnstiftend einzusetzen. Wir würden sie heute, mit einigem Abstand, auch mit der Idee der «Heterotopien» von Michel Foucault in Verbindung bringen, Orten also, an denen bestimmte Regeln nicht, nicht mehr oder noch nicht vollständig erkennbar herrschen. Lücken in Veränderungsprozessen können auch als «Übergangsräume» nach Donald Winnicott verstanden werden. Räume also, die auf eigentümliche Weise dazwischenliegen und Chancen zur vielfältigen Potenzialentfaltung bieten.“
Prof. Dr. Michael Zirkler (ZHAW)Vorwort zur Doktorarbeit von Dominic Bannholzer