Beim Neubauprojekt „Flughafentunnel“ am Stuttgarter Airport kommt es für die LEAN- Expertinnen und -Experten von Züblin Spezialtiefbau (SPT) zur Premiere: Das Team testet erstmals ein inhouse entwickeltes LEAN-Konzept. „Mit Standard-LEAN-Lösungen konnten wir das Optimierungspotenzial bislang nicht quantifizieren. Mit unseren neuen Methoden gelang es uns nun, die für die Leistung kritischen Schritte im Bauprozess zu identifizieren und die gesamte Prozessentwicklung zu visualisieren“, erklärt Diego Bellato, Leiter Digitalisierung und Prozessmanagement der Züblin Spezialtiefbau GmbH. Im Rahmen des Testlaufs wird der Bauprozess mit Hilfe einer Kombination von Multimomentaufnahme und Fortschrittszeitmessung direkt am Wertschöpfungsort erfasst. Auf Basis dieser Potenzialanalyse, für die das Team um Diego Bellato auch eine App programmierte, werden kontinuierliche Analysen und Anpassungen sowie Soll-Ist-Vergleiche der verschiedenen Leistungen durchgeführt. Unter Berücksichtigung der gewerkespezifischen Taktgeber und Einbeziehung der von der Baustelle stammenden Realdaten wird auf diese Weise eine Produktionsplanung und -steuerung (PPS) generiert. Die dabei gesammelten Erfahrungen können künftig zum Beispiel in der Angebots- und Ausführungsphase einen Mehrwert bieten und das Know-how in der Anwendung von LEAN-Methoden im Spezialtiefbau erweitern.
Schritt I: Wertstromermittlung
Die Wertströme werden auf der Basis einer Gesamtprozessanalyse (GPA) identifiziert und visualisiert. Für die Errichtung einer Bohrpfahlwand lassen sich zum Beispiel die Herstellung jedes einzelnen Bohrpfahls sowie die Reihenfolge, Anzahl und Dauer der einzelnen Prozessschritte analysieren. Die Ermittlung der benötigten Zeit basiert auf den technischen Eigenschaften der eingesetzten Geräte, aber auch den Erfahrungswerten der Baustellen-Teams. Die einzelnen Schritte des Soll-Prozesses werden jeweils einer der folgenden drei Kategorien zugeordnet: wertschöpfend (1), nicht wertschöpfend, aber notwendig (2) und Verschwendung (3).
Schritt II: Erhebung von Prozessdaten
Mit einer im Haus programmierten Potenzialanalyse-App lassen sich die Produktionsdaten (Ist-Daten) auf der Baustelle erfassen und in der Datenbank von Züblin Spezialtiefbau speichern, ebenso die Soll-Prozesse und -Dauer. Das Erfassen der jeweiligen Ist-Dauer ist unkompliziert: Man wählt die hinterlegten Tätigkeiten zum tatsächlichen Zeitpunkt der Ausführung in der App aus und die Ist-Daten werden in Echtzeit in der Datenbank gespeichert. Bauleiterinnen und Bauleiter sowie berechtigte Projektbeteiligte können jederzeit auf diese Daten zugreifen.
Schritt III: Auswertung der Realdaten
Die Auswertung der Produktionsdaten erfolgt mit Hilfe der Spezialtiefbau-Datenbank. Neben einer Vielzahl von Analysen sind auch automatisierte Soll-Ist-Vergleiche möglich. Die Ergebnisse sind als Excel- oder PDF-Formular sowie als Visualisierung abrufbar. Für eine Häufigkeitsbetrachtung werden Ist-Daten für Bauteile wie z. B. Selbstbohranker an mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen erhoben. Durch Soll-Ist-Vergleiche mit Hilfe der Daten aus der Datenbank können Risiken und Potenziale frühzeitig bewertet und mögliche Optimierungen durchgeführt werden. Aus den erfassten Daten lassen sich auch wichtige Informationen für Nachträge ableiten, beispielsweise die tatsächliche Wartezeit auf Beton. Die Ist-Daten werden mehrmals erhoben und mit den Soll-Werten verglichen. So kann der Erfolg der gezielten Produktionssteuerung nachgewiesen werden.
Schritt IV: Umsetzung der Produktionsplanung und -steuerung
Die statistische Auswertung der erfassten Ist-Daten und früherer Soll-Ist-Vergleiche ermöglicht eine Fehlermöglichkeits-Einfluss-Analyse (FMEA). Durch das frühzeitige Erkennen von Risiken lassen sich rechtzeitig Verbesserungsmaßnahmen einleiten. Dafür werden potenzielle Fehler erfasst und nach ihrer Auftretens- und Entdeckungswahrscheinlichkeit mit einer Risikokennzahl bewertet.
Auf Basis der ermittelten Wertströme, der Bauprozesse, der Datenerhebungen und -analysen wird eine Produktionsplanung und -steuerung (PPS) aufgesetzt. Ziel ist die zeitnahe Kommunikation und Erfassung möglicher Abweichungen von der Soll-Leistung in der Wochen- und Tagesplanung. Diese Änderungen werden in den o. g. Plänen angepasst und dadurch gesteuert. Diese werden – zusammen mit der Produktionssteuerung – durch das ausführende Baustellenteam wöchentlich besprochen.