Noch immer haftet der Bauindustrie das Image an, sich in Sachen Digitalisierung nur behäbig zu bewegen und ihr großes Potenzial nicht auszuschöpfen. Zu Unrecht, denn der schlafende Riese ist längst wach: Auch abseits vom mittlerweile etablierten Building Information Modeling (BIM) setzt die Branche zunehmend auf innovative, digitale Lösungen. Als Teil des Forschungsprojekts ESKIMO beschäftigt sich STRABAG aktuell mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) auf Baustellen.
Daniele Roos
Daniele Roos
ZÜBLIN-Direktion Stuttgart

Das Forschungsvorhaben ESKIMO adressiert spezifische, KI-bezogene Digitalisierungshürden der Baubranche durch die disziplinübergreifende Vernetzung von elf Partnern aus Forschung und Wissenschaft, der IT-Branche sowie der Baubranche. ZÜBLIN stellt dabei zwei Bauvorhaben in Deutschland für die Erhebung von Trainingsdaten zur Verfügung. Tatkräftige Unterstützung in Form von Know-how und Erfahrung kommt außerdem von den Digitalisierungsprofis des Unternehmensbereichs STRABAG Innovation & Digitalisation.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt startete offiziell am 1. April 2020 und endet voraussichtlich nach 24 Monaten Projektlaufzeit im März 2022. Der Fokus liegt auf dem Einsatz von KI in der Bauausführung – mit dem Ziel, ein deutlich effizienteres Baumanagement zu realisieren. Dafür werden insbesondere drei Anwendungsfälle untersucht:

Technischer Anwendungsfall

Eine automatisierte Mängelerfassung kann jede Begehung und insbesondere jede Abnahme deutlich beschleunigen und zur Qualitätssteigerung beitragen. Mit der installierten ESKIMO-Lösung muss man lediglich das Smartphone oder Tablet auf den Baumangel richten und schon erscheint ein automatischer Vorschlag, um welchen Mangel es sich handelt. Wird dieser bestätigt, übernimmt ESKIMO alle weiteren Schritte automatisch. Mit Hilfe des Helmkamerasystems soll der Mangel automatisch im 3-D-Modell verortet werden. Trotzdem behält die Bauleitung jederzeit die volle Kontrolle und kann falls nötig korrigierend eingreifen.

Die Ziele auf einen Blick:

  • Automatische Klassifikation von optischen Mängeln (Fleck, Riss, Kratzer)
  • Automatische Verortung eines Baumangels auf dem Plan und im 3-D-Modell
  • Automatischer Vorschlag des Nachunternehmers zu einem Mangel
  • Automatische Erfassung und Verortung über 360°-Bild im Modell für die Dokumentation

Kaufmännischer Anwendungsfall

Die intelligente kaufmännische Qualitätssicherung übernimmt die Herausforderung, einen Leistungsabgleich zwischen BIM-Modell (Soll) und Realität (Ist) zu ermitteln. Anhand der regelmäßigen Ist-Aufnahmen kann der Zeitpunkt des Einbaus der einzelnen Bauelemente ermittelt und modellbasiert mit der Planung abgeglichen werden. Im Projekt fallen Unmengen an Dokumenten an, die gesichtet, sortiert und abgelegt werden müssen. ESKIMO nimmt sich dem Problem an und trainiert eine KI, die Dokumente klassifiziert (Datenblätter, Rechnungen, Lieferscheine/Aufmaß) und Merkmale aus ihnen extrahiert. Datenblätter werden Räumen zugeordnet. Die Ist-Situation wird durch KI erfasst und modellbasiert abgeglichen. Dem Bauleiter stehen alle Daten zur Verfügung, die zum Prüfen einer Rechnung notwendig sind (Rechnung, Aufmaß und Ist-Zustand).

Die Ziele auf einen Blick:

  • Stets aktuelles Raumbuch
  • Automatische Bautenstandserfassung
  • Teilautomatisierte Rechnungsprüfung

Logistischer Anwendungsfall

Mittels kamerabestücktem Bauhelmaufsatz werden sämtliche Bereiche der Baustelle durch 360°-Bildaufnahmen erfasst. Sie werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen immer an denselben Aufnahmepunkten ausgelöst. Das Resultat ist die durchgängige Dokumentation der Situationsveränderung potenzieller BE-Flächen der Baustelle. In virtuellen Begehungen können die BE-Flächen am PC begutachtet und der zeitliche Verlauf der Flächennutzung und -verfügbarkeit nachvollzogen werden. Nicht nur BE-Flächen sollen erfasst werden, sondern auch Container-Füllstände. Durch das Projekt ESKIMO wird es möglich, Müll- und Entsorgungsbehälter automatisch zu lokalisieren, die Füllstände zu erfassen sowie erforderliche logistische Operationen abzuleiten und auszulösen.

Die Ziele auf einen Blick:

  • Erfassung potenzieller BE-Flächen (inkl. Dimensionen)
  • Optimierte Navigation auf der Baustelle
  • Soll/Ist-Vergleich mit logistischen Operationen

Allen Anwendungsfällen liegt das gleiche Grundprinzip zugrunde: Für eine intelligente Interpretation der Ist-Situation werden Informationen aus Bilddaten gewonnen und verarbeitet. Für die maschinelle Bildverarbeitung werden tiefe neuronale Netze eingesetzt, die mithilfe von KI-Algorithmen aus Bildern lernen.

Ein Blick in die Praxis

Was vielleicht etwas kompliziert klingt, wird schnell anschaulicher, wenn man ein typisches Problem aus dem Projekt betrachtet: Es gilt, die eigene Position in einem Raum zu bestimmen. Zwar wissen wir, in welchem Raum wir uns befinden, jedoch nicht, wo genau. Also suchen wir nach fest verorteten Bauteilen, die wir auch im BIM-Modell vorfinden. Dafür werden Fenster, Türen und Kanten detektiert und die Vorhersagen der KI durch einen „normalen“ Algorithmus verarbeitet, um über einen topologischen Abgleich zwischen Ist-Situation und BIM-Modell eine genaue Positionsbestimmung vornehmen zu können. Zu diesem Zweck wurde ein neuronales Netz mit tausenden von Bildern trainiert.

Vorhersage der KI für ein 360°-Bild

Um die KI zu testen, wurden dem neuronalen Netz anschließend gezielt andere Bilder gezeigt – das Ergebnis beeindruckt: Türdurchbrüche und Fenster erkennt die KI mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 99%. Allerdings werden durch die Sonneneinstrahlung auf der angrenzenden Wand fälschlicherweise leider ebenfalls zwei Türen erkannt.

Für die Lösung dieses Problems, gibt es nun mehrere Ansätze: Das Nutzen einer anderen Architektur, das Anpassen der Trainingsparameter (Hyperparameter) oder der Versuch, bessere Parameter für das konkrete Problem zu finden.

Die Zukunft ist jetzt

Welcher davon zur Lösung geführt hat, erfahren Sie in unserem nächsten Projekt-Update. Denn auch wenn sich das ESKIMO-System noch in der Entwicklung befindet, so zeigt es doch, dass KI-unterstützte Bauausführung längst keine Zukunftsmusik mehr ist – und darüber hinaus direkt vor unserer Haustüre Wirklichkeit wird.

Bleiben Sie gespannt!

Forschungsprojekt ESKIMO

Projektpartner:

  • Actimage GmbH
  • Bauunternehmung Karl Gemünden GmbH & Co. KG
  • Frankfurt Economics AG
  • Fraunhofer IOSB
  • Hochschule Darmstadt
  • Karlsruher Institut für Technologie
  • Open Experience GmbH
  • PMG Projektraum Management GmbH
  • Ed. Züblin AG

Projektlaufzeit:

April 2020 – März 2022

Photos: pickup – stock.adobe.com / baranozdemir – istockphoto.com